Der Neue Yogawille, seine Nähe zur Anthroposophie und die Ich-Entwicklung des Menschen

Das Menschenbild dieses Yoga und der Anthroposophie möchten den Stand eines freien, verantwortlichen und geistdurchdrungenen Menschen in Soziabilität fördern.

"Gedanken sind Verantwortung"

Frank Dommenz (Malermeister u. Illustrator)
Der Weg von Unten nach Oben im Gegensatz zum Weg von Oben nach Unten
Im traditionellen Yogaverständnis ist der Übende bemüht sich von den Bindungen und Anhaftungen an die Welt zu lösen und sich besonders mittels Körper- und Atemübungen zu einem reineren Bewusstsein aufzuschwingen. Der Weg erfolgt dabei schwerpunktmäßig von unten nach oben, was bedeutet, dass viele Übungsansätze primär über die Disziplinierung des Körpers und der Energetisierung erfolgen um sich einem Oberen (Kosmischen/Geist) gegenüber wie eine Schale empfänglicher zu machen. Der Weg erfolgt tendenziell mehr aus der Welt heraus und sucht die Wiedererlangung einer ehemals verlorenen kosmischen Reinheit.

Im Menschenbild des Neuen Yogawillen wie auch der Anthroposophie erfolgt der Übungsansatz nahezu gegenteilig. Der Aspirant studiert die seelisch-geistigen Zusammenhänge aus authentischen inspirativen Quellen und bemüht sich gleichermaßen um eine gezielte Entwicklung und Ausgestaltung seiner seelischen Kräfte, namentlich das Denken, Fühlen und Wollen. Diese werden, meist in der gezielten Auseinandersetzung eines jeweiligen Fachbereiches gezielt trainiert und in ihrer Kapazität erweitert.

Sehr wesentlich ist zu bemerken, dass der Ansatz hierbei im Gegensatz zum erstgenannten traditionellen Yogaweg mehr von Oben nach Unten nimmt, das bedeutet, der Aspirant studiert Aspekte einer seelisch-geistigen Wirklichkeit, durchdringt diese Inhalte mit verschiedenen konkreten Übungsansätzen und erstrebt in der Folge eine schrittweise Durchdringung des jeweiligen irdischen Lebens- und Aufgabenfeldes mit den inspirativen Inhalten und den damit verbundenen Idealen. Er möchte sozusagen den Geist auf die Erde tragen und diese damit durchdringen oder anders ausgedrückt, er möchte genau genommen die bereits im verborgenen liegende Geistigkeit in den diversen Erscheinungen des Lebens erkennen und aus einem tieferen und geistdurchdrungenen Beziehungsverständnis das Leben schöpferisch und aufbauend durchdringen und gestalten. Dies wäre mehr in aller Kürze formuliert der Weg von Oben nach Unten oder vom Geiste ausgehend hinein in die Materie. Das Geistige wird in seinem profunden Ausdruck und in seinen Gesetzen sorgfältig studiert, in tiefster und klarster Hinwendung eruiert und durch die damit verbundene schrittweise schöpferische Aktivität und Auseinandersetzung des Menschen durch seine Person zum Ausdruck einer Synthese des Geistes mit der Welt geführt.

Es bilden diese Individuationswege wie es die Anthroposophie und auch der Neue Yogawille exemplarisch darstellen tatsächlich einen völligen Gegenentwurf zum dem von den Kirchen unserer Gegenwart entwickelten Menschenbild in dem der individuelle Mensch primär als armer Sünder dargestellt wird und zu keiner Erkenntnis- und Verwandlungskraft aus eigenem Vermögen kommen könnte. Die katholische Kirche erhebt hier gegenüber dem Yoga den zähen und doch auch müden Vorwurf der Selbsterlösung, in dem ein Christus zum Heil nicht mehr notwendig sei. Tatsächlich ist es eine tiefe Wahrheit, dass das sogenannte Geistige oder auch die Christuskraft im Menschen nicht auf freie Weise zum Ausdruck kommen kann, wenn dieser sich nur in übernommenen Credos und passiver Hinwendung an einen scheinbar von ihm getrennten Christus hinwenden würde.

Der Christus, und das ist so bedeutend, wirkt geradewegs im und durch das Ich des Menschen. Diese für unsere heutige Zeit und eben für das katholische Verständnis so ketzerische Haltung muss sicherlich in ihrem Ausdruck der Tradition auf Widerstand stoßen. Die Kirche möchte den Menschen in seinen Möglichkeiten der Entwicklung seines eigenen seelisch-geistigen Potentiales klein halten und an die Tradition und Institution Kirche binden. Sie fühlt sich als der Bewahrer und Verwalter der Wahrheit, die sie dem einzelnen Menschen selbst nicht zugestehen kann, sondern ihn abhängig von ihrem eigenen System machen möchte.

Eben gerade zeichnet sich der Weg von Oben nach Unten durch seine Bemühung um eine klare Haltung und Stärkung desjenigen Teiles des Menschen aus, den wir als das Ich oder auch den geistigen Anteil des Menschen beschreiben können. Ja gerade stärkt und trainiert sich diese Selbstkraft des Menschen indem die schöpferischen Kräfte der Seele des Menschen in ihre eigentliche Entwicklung gelangen.

Diese gezielte und in ihrer Methodik sehr klar beschreibbare Ich-Stärkung sowie die damit verantwortliche Stellung des einzelnen Individuums ist signifikant für den Neuen Yogawillen wie auch für die Anthroposophie. In beiden Schulungswegen gibt es keinen Guru der diese Ich-Stellung ersetzen könnte. Wohl kann eine anerkennende und wertschätzende Hinwendung und gesunde Devotion zu der Person einer geistigen Quelle wie allgemein zu einem spirituellen Ideal wie es bspw. Christus selbst sein kann erfolgen, jedoch erfolgt diese nie auf Basis einer sukzessiven Ich- oder Verantwortungsabgabe. Das Ehrgefühl und die freie Stellung des Einzelnen bleibt in jeder Phase frei und erhalten, ja vielmehr erbaut sich dieses sogar in der wertschätzenden, unabhängigen und Ich-geführten Hinwendung an das Werk und die Persönlichkeit großer Seelen, die Bedeutendes auf diesem Gebiete errungen und geleistet haben.